Energiewende und Grundlast

25.02.2021 enexion

Der Begriff Grundlast stammt aus alten Stromversorgungszeiten. Er bezeichnet die Menge Strom, die generell benötigt wird, um den Grundbedarf eines Landes, den Bedarf, den ein hoch entwickeltes Industrieland wie Deutschland praktisch permanent hat, dauerhaft und nachhaltig sicherzustellen. Die benötigte Strommenge darf im Verlauf eines Tages niemals unterschritten werden.

Dieser Strom wird bis heute von grundlastfähigen konventionellen Kraftwerken bereitgestellt. Die Stromerzeugung mittels der regenerativen Energieträger Biomasse und Wasserkraft ist ebenfalls grundlastfähig. Entscheidend ist, dass zu jedem Zeitpunkt der Strom verlässlich zur Verfügung gestellt werden kann, der die Grundlast, den Grundbedarf des Tages zu jeder Zeit abdeckt. Steigt der Strombedarf über den Wert, kommen Mittel- und Spitzenlastkraftwerke zum Einsatz, die diesen Bedarf decken.

Mit der Energiewende und dem massiven Ausbau Windkraft- und Photovoltaikanlagen hat sich zwar nicht der Strombedarf und der Wunsch der Stromabnehmer, dass zur Deckung dieses Bedarfs genügend Strom bereitgestellt wird, geändert. Der Weg dahin ist um einiges komplizierter geworden. Die genannten Energieträger Wind- und Solarenergie haben die Eigenschaft sehr volatil, also hoch schwankend zu sein. Die Sonne bescheint die Photovoltaikanlagen nur über Tag und je nach Wolkenlage und Jahreszeit mehr oder weniger intensiv. Der Wind weht, wie und wann er will.

Im Januar dieses Jahres zum Beispiel lag die Stromproduktion  der Wind- und Photovoltaikanlagen Deutschlands insgesamt niedriger als im ersten Monat der Jahre 2018 bis 2020. Und das, obwohl die installierte Leistung zu  Anfang des Jahres 2021 (PV 54,07 GW / Windkraft 62,58 GW) um einiges höher lag als zum Beispiel im Jahr 2018 (PV 45,21 GW / Windkraft 58,72 GW). Wie stark die Schwankungen der Wind- und Photovoltaikstromerzeugung sind belegt diese Übersicht:

Quelle: https://energy-charts.info/charts/energy/chart.htm?l=de&c=DE&source=sw&year=2020&interval=day

Sogar die Windstromerzeugung auf See ist höchst schwankend, wie ganz unten im Chart gut zu erkennen ist. Die Stromerzeugung mittels Windenergieanlagen und Photovoltaik ist kaum kalkulierbar. Sie wird umso unkalkulierbarer, desto mehr sie ausgebaut wird. Bleibt die Frage nach der Deckung des Grundbedarfs an Strom. Kann mit den Energieträgern Wind- und Solarkraft die Grundlast gesichert werden?

Das Deutsche-Klima-Konsortium (DKK) mit seinem Vorstandsvorsitzenden Mojib Latif meint, dass Grundlast auch in Zeiten der erneuerbaren Energieerzeugung kein Problem sei. Auch ohne „Kohle- und Atomstrom“ sei die Grundlast-Energieversorgung gesichert.

Die Dunkelflaute, also mangelnde Energieversorgung durch gleichzeitige Windstille und nicht scheinende Sonne, ist in Zeiten vernetzt-steuerbarer überregionaler und europaweiter Energieversorgung ein handhabbares Risiko. Der Sorge vor einem Blackout liegt die Vorstellung zugrunde, dass es großer Kraftwerke bedürfe, um die Grundlast zu sichern. Das Konzept “Grundlast” stammt aus dem traditionellen Denken der Stromversorgung, es wird im künftigen, klimaschonenden Energiesystem zunehmend überflüssig. Dessen ungeachtet sind auch Erneuerbare Energien grundlastfähig, die Sicherheit der Stromversorgung wird daher auch durch weitere Abschaltungen von Atom- und Kohlekraftwerken nicht gefährdet.

Als kurzfristige Brückentechnologie sind in Deutschland unter anderem Gaskraftwerke vorgesehen, die deutlich weniger CO2 verursachen als Kohlekraftwerke und zudem rasch hoch- und runtergeregelt werden können. Zur Grundlastfähigkeit von erneuerbaren Energieträgern hat das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag bereits 2012 eine umfangreiche Expertise vorgelegt.

Unabhängig davon kommen Expertinnen und Experten mehr und mehr zu der Auffassung, dass das Thema der “Grundlastfähigkeit” überschätzt wird [Der Artikel ist aus dem Jahr 2011 enexion]. Perspektivisch wird das Zusammenspiel von großen Windkraft- und Photovoltaik-Parks mit dezentralen kleineren Anlagen über intelligent gesteuerte Netze (“Smart Grids”) effizient geregelt werden und Lücken ausgleichen können. Zusätzlich können unterschiedliche Speichermedien (zum Beispiel klassische Pumpspeicherkraftwerke, aber auch Großbatterien oder Wasserstoffspeicher) die Schwankungen zwischen Erzeugung und Verbrauch abfedern. Wie der Deutsche Wetterdienst (DWD) in einer Untersuchung zeigte, kann ein großräumiger Verbund von Wind- und Solaranlagen die Gesamt-Ertragsschwankungen deutlich reduzieren.

Müssen wir uns also keine Sorgen machen? Ist die Frage nach dem Fehlen nachhaltigen Stromversorgung nur das Hirngespinst einiger weniger, die einfach nicht verstehen wollen, dass mit der Energiewende, mit dem großräumigen Verbund von Wind- und Solaranlagen die Gesamt-Ertragsschwankungen deutlich reduziert werden können?

Wir befürchten, dass der höchst positive Ansatz des DKK eine gefährliche Fehleinschätzung ist. Selbstverständlich können alle Maßnahmen und Features, die das DKK im letzten Abschnitt aufführt, für lange Zeiträume die Versorgungssicherheit gewährleisten. Allerdings nur dann, wenn die Bevölkerung, die Wirtschaft, die Industrie bereit ist, auf Strom zu verzichten, wenn es denn aus welchen Gründen auch immer nicht reicht. Das ist es, was mit intelligent gesteuerten Netzen gemeint ist. Smart Grids läuten den Wechsel von der nachfrageorientierten Stromversorgung in die angebotsorientierte ein. Wenn genügend Strom vorhanden ist, wird er geliefert. Fehlt hingegen Strom, wird zugeteilt. Es können noch so viele Windenergie- und Photovoltaikanlagen gebaut werden. Wenn der Wind schwach oder gar nicht weht, wenn die Sonnenstrahlen die Photovoltaikanlagen nicht erreichen, dann wird kaum, auf jeden Fall zu wenig Strom erzeugt, um den Bedarf Deutschlands oder ganz Europas zu decken.  Da nutzen auch europäische Verbünde wenig. Europa produziert nicht nur Strom, um Deutschland zu versorgen. Unsere Nachbarn und europäischen Freunde benötigen ebenfalls Strom. Gerade und besonders in kalten und dunklen Zeiten.

Das Beispiel Januar 2021 verdeutlicht sehr eindrucksvoll, was es faktisch heißt, wenn Wind- und Photovoltaikstromerzeugung überdurchschnittlich schwach ist. Selbst bei einer angenommenen Verdoppelung der real erzeugten Menge Wind- und Solarstrom hätte lediglich an 4 (blauer Balken) von den 31 Tagen des Januars ausgereicht, um den Strombedarf Deutschlands zumindest im Tagesdurchschnitt zu decken. Der überschüssige Strom an diesen 4 Tagen war minimal (grüne Balken). Zusätzlicher, konventionell erzeugter Strom wäre trotz angenommener Verdoppelung in erheblichem Umfang (rote Balken) notwendig gewesen, um den Strombedarf Deutschlands zu decken.

Dementsprechend sah die konventionelle Stromerzeugung im Januar 2021 real aus. Die Kraftwerke bullerten, was das Zeug hielt. Die blauen Spitzen im Chart unten kennzeichnen Pumpspeicherstrom, der bereits heute in hohem Umfang verwendet wird, um kurzfristigen Höchstbedarf abzudecken. Dafür ist dieser Strom geeignet. Um Versorgungslücken zu schließen ist viel zu wenig dieses Stroms nachhaltig verfügbar.

Quelle: https://www.agora-energiewende.de/service/agorameter/chart/conventional_power_generation/01.01.2021/31.01.2021/

Da nutzt auch das hoffnungsfrohe Statement, wie es das DKK oben von abgibt, wenig. Das Thema Grundlast als traditionelles Denken zu deklarieren, erinnert ein wenig an das Kind, das sich die Augen zuhält und glaubt nicht gesehen zu werden. Allein der Gedanke, dass in knapp 2 Jahren der Balken ganz unten im Chart, der die Strommenge aus Kernkraft darstellt, komplett wegfällt, lässt den aufmerksamen Betrachter mit einem realistischen Blick für die Stromversorgung und deren Sicherheit frösteln.

Sogar die Grünen im bayerischen Landtag zum Beispiel wissen ganz genau, was auf die Stromversorgung Bayerns zukommt, wenn die Kernkraftwerke Grundremmingen und Isar II vom Netz genommen werden. Mehrere Szenarien werden in einem Webinar durchgespielt. Bis zu 7.500 Stunden der insgesamt 8.600 Stunden eines Jahres liegt eine Stromunterdeckung vor (also, an rund 9 von 10 Tagen!). Ganz gleich welche Ausgleichsszenarien (siehe Foliensatz des Öko-Instituts) für die wegfallende Kernkraft und anderer konventioneller Energieträger kalkuliert werden, es fehlen im Jahr zwischen 28 und 35 Terawattstunden (TWh). Genaue Zahlen und Zusammenhänge bietet der besagte Foliensatz. Große Hoffnung wird auf Stromimporte gesetzt. Die sollen aus dem benachbarten Ausland und/oder aus anderen Bundesländern kommen. Wie hoch der Realitätsgehalt dieses Ansinnens sein wird, werden wir in den nächsten Jahren erleben.

Zum Schluss noch die Aussage des Mathematikers und Energie-Experten Dr. Christoph Mayer (EnBW) zur Frage, ob durch die Erneuerbare Stromerzeugung, der steigende Anteil von Solar- und Windstrom nicht trotzdem ein zusätzlicher Risikofaktor sei?

„Die kurze Antwort ist nein. Wir gehen nicht davon aus, dass Dezentralisierung in irgendeiner Form ein zusätzliches Risiko darstellt. Es ändert sich natürlich die Risikostruktur, also andere Fehler sind möglich, Wind oder PV als solche sind kein Risiko. Wir hatten ja vor einigen Jahren eine Sonnenfinsternis in Europa, und das ist extrem gut abgefangen worden, da fielen alle PV aus, die Auswirkungen waren exakt null, also da geht kein zusätzliches Risiko für Blackout rein.“

Es ist schwer und sinnfrei auf diesem Niveau zu diskutieren. Eine Sonnenfinsternis ist ein planbares Ereignis. Es tritt nicht unerwartet auf. Ebenso ist die Gefahr einer Dunkelflaute in Zukunft erheblich größer, wenn es viele Grundlastfähige Kraftwerke nicht mehr geben wird, die wie er meinte das Ereignis so extrem gut abgefangen haben.

Hören und lesen Sie das komplette Interview des Dlf mit Dr. Mayer. Die Leichtigkeit, mit der hier die Folgen eines großflächigen, langer andauernden Stromausfalls kleingeredet werden ist erstaunlich. Die tatsächlichen Auswirkungen eines Blackouts sind spätestens nach 12 Stunden gewaltig. Es herrscht Dunkelheit und Kommunikationslosigkeit. Heizungen und Wasserversorgung fallen praktisch sofort aus, inkl. der WC-Spülung (ja, nicht mal Hamsterkäufe für Toilettenpapier helfen hier).

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