Energiewende und das Jahr 2030

11.11.2020 enexion

Runde Jahreszahlen üben immer eine gewisse Faszination aus. So wundert es nicht, dass Schritte der Energiewende sich an runden Jahresdaten orientieren. Bilden diese doch natürliche Meilensteine, an denen bestimmte Ziele erreicht werden sollen. 10-Jahresschritte sind für Menschen eine recht lange Zeit, für technische Entwicklungen und das Erreichen von in aller Regel recht ambitionierten Zahlenzielen schrumpft dieser Zeitraum schneller als gedacht. Prompt werden die gesteckten Ziele nicht erreicht. Beispielhaft sei die Idee Angela Merkels genannt, die noch 2013 bekräftigte, dass vor Jahren gesetzte Ziel 1 Million Elektro-Autos auf Deutschlands Straßen bis 2020 ´schaffen` zu wollen. Das hat nicht funktioniert. Nun soll es spätestens 2022 soweit sein. Plus 1 Million zusätzlicher versprochener Ladestationen bis 2030. Gewaltige Subventionen mussten ausgelobt werden. Rein marktwirtschaftlich funktioniert es offensichtlich nicht. Und ob es mit massiver Unterstützung des Staates funktioniert, steht auch noch in den Energiewende-Sternen.

Im Jahr 2017 wurde von Agora Energiewende ein Big Picture entworfen, welches die Veränderungen des Energie- und Stromsystems Deutschlands Richtung Klimaneutralität 2050 weist. Etappenziel ist das Jahr 2030.

Ausgangsbasis Energie- und Stromsystem 2015

2030 soll dann das Energie- und Stromsystem so aussehen:

Interaktive Quelle: https://www.agora-energiewende.de/die-energiewende/energiewende-2030-the-big-picture/

Selbstverständlich erhalten Sie viele weitere ausführliche Informationen, wie sich Agora-Energiewende das alles so vorstellt, welche Wege beschritten werden sollen, wenn Sie die interaktive Quelle aufrufen. Ein 76-seitiges Papier erläutert den Vorschlag, der bis 2030 die Stromwirtschaft Deutschlands so umbauen will:

Zusammengefügte Ausschnitte aus Big-Picture 2015 & 2030. Quelle: Agora Energiewende: https://www.agora-energiewende.de/die-energiewende/energiewende-2030-the-big-picture/

Es fällt auf, dass bei der Bruttostromerzeugung angenommen wird, dass der Strom, der mittels Wind- und Sonnenkraft erzeugt wird, regelmäßig im jeweils benötigten Umfang zur Verfügung steht. Was in der Stromerzeugungsrealität durchaus nicht der Fall ist. Smarte Technologien, neue Geschäftsmodelle und dezentrale Speichersysteme sollen, die sich naturgemäß ergebenden Unregelmäßigkeiten in der regenerativen Stromerzeugung ausgleichen. Strom kommt nicht länger einfach aus der Steckdose. Solaranlagen, Blockheizkraftwerke, Batterie- und Wärmespeicher eröffnen Millionen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, große Teile ihrer genutzten Energie selbst zu erzeugen. Der Strom kommt also auch in die Steckdose – aus Verbrauchern werden Prosumer. Zudem gibt es in immer mehr Regionen das politische Interesse, Strom vor Ort zu erzeugen und so Wertschöpfung in der Region zu behalten.

Ein Drittel der Zeit ist seit 2015 vergangen. Wesentliches hat sich nicht getan. Der Windkraftausbau ist fast zum Erliegen gekommen. Deshalb wird versucht mittels einer Gesetzgebung, die Rechtsmittel erschwert (Investitionsbeschleunigungsgesetz) und die Rechtsprechung wegen und unter Verwendung ´gesetzlich verfügter nationaler Sicherheitsvorgaben` sanft, aber zielgerichtet in Richtung Erneuerbare leitet. Das ist Nudging, das Schubsen in die ´richtige Richtung` per Gesetzgebung in Vollendung, hat gleichwohl mit rechtsstaatlich einwandfreiem Vorgehen nur wenig zu tun.

Vier Zielkorridore werden von Agora 2017 definiert:

Quelle: Seite 19 https://static.agora-energiewende.de/fileadmin2/Projekte/2017/Big_Picture/Agora_Big-Picture_WEB.pdf

Es fällt auf, dass im Bereich „Wirtschaftlichkeit“ besondere Ausgleichsregelungen für energieintensive Industrien vorgesehen sind. Auch Agora Energiewende sieht, dass eine zu starke Beteiligung an den enormen Kosten, die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Industrien stark im internationalen Wettbewerb reduzieren, wenn sogar komplett auslöschen würde.

Neue Studie 2020

Je näher das Jahr 2030 rückt, desto engagierter werden die Freunde der Energiewende. Unbeeindruckt von dem immer größer werdenden Unmut und Misstrauen insbesondere der Bevölkerungsteile, die von der Energiewende negativ betroffen sind, ohne einen echten Nutzen zusehen, wird nachgelegt und neue Ziele für das Jahr 2030 gesetzt.

Eine neue Studie soll die Machbarkeit der Energiewende belegen und Wege aufzeigen, die zu den – neuen, nochmals erweiterten – Zielen führen. Selbstverständlich werden die Ziele des Europäischen Green Deals und dessen Umsetzsetzung durch die Bundesregierung eingearbeitet. So werden nunmehr 65% Emissionsminderung bis 2030 angepeilt. Prognos, Öko-Institut & Wuppertal Institut weisen den Weg zur Klimaneutralität im Auftrag von Agora Energiewende, Agora Verkehrswende und der Stiftung Klimaneutralität. Was sofort ins Auge fällt, ist dieser Satz: Ein klimaneutrales Deutschland 2050 ist technisch und wirtschaftlich im Rahmen der normalen Investitionszyklen in drei Schritten realisierbar. In einem ersten Schritt sinken die Emissionen bis 2030 um 65 Prozent. Bis 2030 wird die Senkung der Treibhausgas-Emissionen um 65 – bisher 55% – angestrebt. Was eine deutliche Beschleunigung der Energie-, Verkehrs- und Wärmewende bedeutet. Es folgt ein erwartungsvoller Blick in die Zukunft: Das Regierungsprogramm nach der Bundestagswahl 2021 ist von zentraler Bedeutung. Kluge Instrumente und Politiken modernisieren Wirtschaft und Gesellschaft Deutschlands in Richtung Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Gleichzeitig gestaltet gute Politik den anstehenden Strukturwandel so, dass er inklusiv ist und alle mitnimmt. Was immer das auch heißen mag, viel freie und soziale Marktwirtschaft ist da nicht zu erkennen. Klug muss es sein, gute Politik, Strukturwandel, Resilienz und Zukunftsfähigkeit sind vonnöten. Alles Spruchfetzen aus der Wörterkiste der Menschen, die das ´Beste` vom und für den Bürger wollen. Konkret soll bis zum Jahr 2030 folgendes geschafft werden: […] bis 2030 der vollständige Kohleausstieg [statt bis 2038], ein Erneuerbaren-Anteil am Strom von etwa 70 Prozent [statt 65%], 14 Millionen Elektroautos [statt 7-10 Millionen], 6 Millionen Wärmepumpen, eine Erhöhung der Sanierungsrate um mindestens 50 Prozent sowie die Nutzung von gut 60 TWh sauberen Wasserstoffs. Hier noch mal die Studien-

Quelle Ergebnisse und Zitate: https://static.agora-energiewende.de/fileadmin2/Projekte/2020/2020_10_KNDE/A-EW_192_KNDE_Zusammenfassung_DE_WEB.pdf

Eine Million E-Autos fahren nach 10 Jahren noch immer nicht auf bundesdeutschen Straßen, da sollen ab 2021 nunmehr PRO JAHR 1,4 Millionen E-Autos als Ersatz für Verbrenner über Deutschland Straßen rollen. Und allein für die Herstellung des grünen Wasserstoffs, der unter dem Strich 60 TWh Strom liefert, sind rund 240 TWh Strom erforderlich, erzeugt mittels erneuerbarer Energieträger durch Wind- und Solarkraftwerke nötig. Die Machbarkeit der anderen Ziele soll nicht weiter analysiert werden. Allein die 14 Millionen Elektro-Autos und die 60 TWh Energie mit Wasserstoff als Energieträger scheinen kaum erreichbar. Zum kompletten Kohleausstieg sei der Artikel dieser Kolumne erwähnt, der das Dilemma des Abschaltens kontinuierlicher und dem Zubau volatiler Stromerzeugung darstellt. Selbst ein geplanter, gigantischer Ausbau der Offshore-Windstromerzeugung in Nord- und Ostsee bis 2030 genügt nicht, um den wegfallenden Strom eines kleinen Teil bis 2030 still zu legenden Braunkohlekraftwerke und durch das Abschalten der letzten Kernkraftwerke Deutschlands zu ersetzen.

Nicht unerwähnt soll ein wichtiger Aspekt, ein wichtiges Verfahren bleiben, das bezüglich des Restmenge CO2 im Jahr 2050 zur Anwendung gelangen soll. Die Abscheidung und Speicherung des CO2, welches trotz aller erfolgten Transformationen, Innovationen und weiteren Veränderungen Deutschlands im Rahmen der Energie- und sonstigen Wenden übrigbleiben wird. Ein Verfahren, welches das IPCC ausdrücklich als Baustein im Rahmen der CO2-Reduzierung erwähnt. Wie auch die Stromerzeugung mittels Kernkraft. Da ist es schon bemerkenswert, dass die Studie das CCS-Verfahren, die CO2-Speicherung vorsieht: Der zweite Schritt nach 2030 ist der vollständige Umstieg auf klimaneutrale Technologien, sodass die Emissionen um 95 Prozent sinken. In einem dritten Schritt werden nicht vermeidbare Restemissionen durch CO2-Abscheidung und -Ablagerung ausgeglichen.

CO2-Abscheidung und Lagerung

Carbon Capture and Storage Program(CCSP) Final report 1.1.2011–31.10.2016 – Scientific Figure on ResearchGate. Available from: https://www.researchgate.net/figure/The-basic-principle-for-Carbon-Capture-and-Storage-CCS_fig1_328352287 [accessed 10 Nov, 2020]

Es handelt sich um ein Verfahren, welches sich auf den ersten Blick, wenn es denn technisch möglich ist, im Rahmen der Energiewende ganz selbstverständlich erscheint. Leider sind auch hier die Mengen-Dimensionen so gewaltig, dass ein Einsatz der CO2-Abscheidung und Lagerung tatsächlich nur in recht überschaubarem Umfang erfolgen kann, bzw. wird. Vor allem in Deutschland. Da sind die Widerstände wegen Sicherheitsbedenken ohnehin sehr hoch. In einem sehr interessanten und ausführlichen Interview erläutert Prof. Dr.-Ing. Harald Bradke vom Fraunhofer ISI ISI die Vor- und Nachteile und den Umfang der Machbarkeit von CO-2 Abscheidung und Lagerung.

Fazit

Die Energiewende stockt. Deshalb werden immer höhere Zielvorgaben, stärkere Subventionierung und ein geringerer Zeitrahmen notwendig, um die Energiewende wie geplant zu verwirklichen. Was 2017 beschlossen wurde, reicht 2020 bei weitem nicht mehr aus, um 2030 zu reüssieren. Dass solch eine Dynamisierung der Ziele nicht viel mit der Realität zu tun hat, belegen die Ausführungen zum Offshore-Windkraftwerksausbau, zur Elektromobilität und der Wasserstoffwirtschaft. Auch die Marke 70% Stromerzeugung mittels regenerativer Energieträger ist kaum zu realisieren. Der Strombedarf wird je mehr wachsen, desto mehr – nach dem Abschalten der letzten 6 Kernkraftwerksblöcke – fossile Energieträger und deren Derivate (z. b. Heizöl, Benzin) durch Strom (E-Autos, Wärmepumpen) ersetzt werden sollen. Das endgültige Aus für die Stromerzeugung mittels Kernkraft in Deutschland hinterlässt eine gewaltige Lücke CO2-freier Stromerzeugung. Die um die 65 TWh Strom werden nur in geringem Umfang durch Wind- und Solarstrom ersetzt werden. Im ´besten` Fall ist es Kernenergiestrom aus dem benachbarten Ausland. Im schlechtesten Fall Kohlestrom aus Deutschland. Gasstromproduktion erzeugt zwar nur etwa 50% des CO2 im Vergleich zur Kohleverstromung. Das ist dennoch im Sinn von Energiewende und Dekarbonisierung ein großer Rückschritt. Von der Vernichtung erheblichen Volksvermögens und der weiteren Absenkung der Strom-Versorgungssicherheit Deutschlands ganz zu schweigen.

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