Energiewende und Blackout

21.01.2021 enexion

Vorab eine Kurzzusammenfassung zur Stromerzeugung, dem zentralen Aspekt der Energiewende im Deutschland des Jahres 2020. Sie wird beispielhaft möglich, wenn man die 53. Woche plus die ersten 3 Tage 2021 betrachtet:

Quelle: https://www.agora-energiewende.de/service/agorameter/chart/power_generation/27.12.2020/03.01.2021/

  • Der 27.12.2020 zeigt, dass eine sehr starke regenerative Stromerzeugung verbunden mit wenig Strombedarf (Sonntag) zu einem Stromüberangebot im Markt führt, welches zu sehr niedrigen, oder wie in diesem Fall negativen Exportpreisen führt.
  • Wenn dieser sehr hohen regenerativen Stromerzeugung ein rapider Erzeugungs-Abfall folgt, kommen die konventionellen Stromerzeuger u. U. mit dem Hochfahren ihrer Kraftwerke nicht schnell genug nach, sodass eine Stromversorgungslücke entsteht. Dies war am 28.12.2020 ab etwa 12:00 Uhr der Fall. Führte das Absacken der Erneuerbaren zunächst zu hohen Exportpreisen von denen Deutschland profitierte, kam es ab Mittag zu einer Stromunterdeckung. Entsprechend hoch waren die Preise, die Deutschland an seine Nachbarn für den gelieferten Strom bezahlen musste.
  • Die hohe Volatilität der erneuerbaren Stromerzeugung eröffnete vor allem im Sommer den Nachbarn Deutschlands die Möglichkeit von Preisdifferenzgeschäften. Diese wurde von fast allen Nachbarländern wahrgenommen. Am z. B. 27.12 nahmen Sie Deutschland den Strom mit Bonus ab.
  • Gelingt es den konventionellen Stromerzeugern, ihre Produktion der erneuerbaren Erzeugung gut nachzuführen (Bedarf plus Regelenergie), kann Deutschland gute Preise im Markt realisieren. Auch dafür ist die 53. Woche 2020 am 29. und 30.12.2020 beispielhaft. Nachts ab 00:00 Uhr und am frühen Morgen sind die Strompreise wegen der geringen Nachfrage fast immer niedrig. Dies zur Erklärung der Preistäler im Chart.
  • Der Mittag 11:00 bis 13:00 Uhr und der Vorabend 17:00 bis 19:00 Uhr sind besonders bedarfsstarke Zeiträume. Da wird der Strom regelmäßig zu hohen Preisen gehandelt. Im Jahr 2020 musste Deutschland sehr häufig die dann fälligen, hohen Importpreise zahlen. So wie am 2.1.2021 unseres Analysezeitraums. Nur recht selten war es umgekehrt. Es kam aber vor, wie der 29.12.2020 belegt.
  • Eine ausführliche Analyse der Stromerzeugung 2020 mit vielen Tabellen, Grafiken und Details liefert Agora-Energiewende.

Beinahe-Blackout am 8.1.2021

Kurze Stromausfälle sind alltäglich. Sie kommen immer wieder vor und sind in aller Regel kurz, werden schnell behoben. Eine Karte der Netzbetreiber mit der Möglichkeit einen Stromausfall zu melden, gibt einen Überblick über das aktuelle Stromausfallgeschehen. Dort gibt es auch Hinweise, wie man sich im Fall einer solchen Störung am besten verhält.

Ganz anders sähe es aus, wenn es zu einem unkontrollierten landes- oder gar europaweiten Stromausfall kommt. Dieser sogenannte Blackout – im Gegensatz zum gewollt gesteuerten Brownout – ist eine Katastrophe. Weshalb, das wird in der

  • TA-Projekt (TA=Technische Abschätzung) – Gefährdung und Verletzbarkeit moderner Gesellschaften – am Beispiel eines großräumigen und langandauernden Ausfalls der Stromversorgung

des Deutschen Bundestages ausführlich erläutert. Die Studie wurde bereits 2011 erstellt.

Das Stromnetz in Europa und in Deutschland ist ein Wechselstromnetz. Exakt 50 Hertz muss die Netzfrequenz betragen. Nur minimale Abweichungen sind erlaubt. Wird dieser Spielraum unter- oder überschritten, bricht das Stromnetz u. U. komplett zusammen. Ein Wiederhochfahren der Kraftwerke kann Tage oder länger dauern. Die Folgen sind in der TA oben eindrücklich beschrieben.

Die Stabilität der Netzfrequenz hängt entscheidend von der Stromerzeugung in konventionellen Kraftwerken mit großen rotierenden Schwungmassen ab. Deshalb müssen in Deutschland immer 20 GW (Durchschnittsbedarf 62,5 GW) konventionell erzeugter Strom in das Netz eingespeist werden. Auch am Sonntag, den 27.12.2020 war das der Fall. Weniger darf es nicht sein. Wenn dann noch die hohe erneuerbare Stromerzeugung hinzukommt, gibt es eben das bereits oben analysierte Überangebot an Strom. Strom, der oft mit Bonus verschenkt werden muss. Kurz: Wenn die erneuerbare Stromerzeugung – Wind- und Sonnenstrom – immer weiter ausgebaut wird, wenn der regenerativ erzeugte Strom immer näher an die Bedarfsgrenze heranreicht, desto weniger wird Strom wert sein. Er muss billig abgegeben, verschenkt oder sogar mit Bonus weggeben werden. Die 20 GW konventioneller Strom sind unabdingbar. Sonst bräche das Netz zusammen: Es käme zum Blackout.

Am Freitag, den 8.1.2021 war es fast soweit. Lassen wir die Experten von gridradar.net sprechen:

Am 08.01.21 sank die Netzfrequenz um 14:05:07 Uhr (CET) auf unter 49,75 Hz. Ein solcher Frequenzabfall im europäischen Verbundnetz ist absolut außergewöhnlich! Bis 14:04:54 Uhr bewegte sich die Netzfrequenz über rund drei Minuten bei etwa 50,02 bis 50,03 Hz. Innerhalb von 13 Sekunden fiel sie dann um fast 270 mHz ab, teilw. unter 49,75 Hz.

Die ENTSO-E, der Verband der Europäischen Übertragungsnetzbetreiber, hat eine Systemaufspaltung zwischen 14:05 Uhr und 15:08 gemeldet.

Kraftwerksausfall oder Handelsartefakt?

Ein solch rasanter Abfall lässt sich nicht durch den Ausfall eines Kraftwerks allein erklären. Unwahrscheinlich ist auch, dass Handelsartefakte zu dem rasanten Frequenzabfall geführt haben. Dazu liegt der Zeitpunkt des Frequenzeinbruchs zu weit vom Stundenbruch entfernt. Vielmehr müssen sich hier mehrere Effekte ausgewirkt haben, gleichzeitig konnten wohl übliche Mechanismen nicht adäquat gegensteuern. …

Quelle: Grafik hier und unten sowie die Textauszüge: https://gridradar.net/unterfrequenz-49.75-Hz-Januar_2021

… Insbesondere sind wohl gerade zu wenige Kraftwerke am Netz, um Momentanreserve in ausreichendem Maße bereitstellen zu können. Unter Momentanreserve versteht man die kontinuierlich am Netz befindlichen Schwungmassen wie bspw. die Turbosätze von Großkraftwerken. Diese fangen normalerweise ein schnelles Abfallen der Frequenz auf. Darauf deuten auch Äußerungen des französischen Übertragungsnetzbetreibers RTE hin. RTE forderte aktuell die französischen Verbraucher zur Reduktion ihres Energieverbrauchs auf. Ähnlich wie fast genau vor zwei Jahren führt die Wintersituation zu einer kontinuierlich hohen Belastung des Energiesystems. Am 10. Januar 2019 hat daher ein vergleichsweise unscheinbares Ereignis ebenfalls zu einem massiven Frequenzabfall unter 49,8 Hz geführt. Der reduzierte industrielle Energiebedarf aufgrund von Corona hat die Situation weiter angespannt. Denn im vergangenen Jahr wurden umfassend Kraftwerkskapazitäten europaweit vom Netz genommen. Diese, in mehrfacherweise herausfordernde, Situation hat das kontinentaleuropäische Verbundsystem an den Rand des Blackouts gebracht. […]

Glücklicherweise konnte diese massive Störung der Netzfrequenz kurzfristig behoben werden. In Deutschland geschah dies so:

[…] Wie auf der nachfolgenden Grafik zu erkennen ist, wurde in Deutschland im Nachgang zu dem Unterfrequenzereignis von 14:00 bis 16:00 über 750 MW negative Sekundärregelleistung eingesetzt, wie auch ca. 250 MW positive Minutenregelleistung (MRL) angefordert um die Frequenz wieder in den Reglertotbereich von 50 Hz +/- 10 mHz zurückzuführen. […]

Quelle: https://gridradar.net/unterfrequenz-49.75-Hz-Januar_2021

Dank der schnellen Reaktion der Techniker und Ingenieure in Europa, in Deutschland konnte der europaweite Blackout abgewendet werden.

Wenn mit der Abschaltung der letzten Kernkraftwerke in Deutschland bis Ende 2022, wenn der im Bundestag am 13.1.2020 beschlossene Braunkohleausstieg real umgesetzt wird, dann wird es immer enger werden mit der Netzstabilität. Etliche Steinkohlekraftwerke, auch das erst 6 Jahre alte Kraftwerk Moorburg, wurden faktisch schon geschleift. Neben einem weiteren Rückgang der Versorgungssicherheit bei anhaltender Windstille (1./ 2.1.2021) mit der Folge möglicher Stromzuteilungen, wird es immer schwieriger die Netzfrequenz im grünen Bereich zu halten. Dieser grüne Bereich ist sehr eng, wie der 8.1.2021 gezeigt hat.

Wenn Sie die Netzfrequenz in Deutschland live nachverfolgen möchten, ist das auf Gridradar problemlos und kostenfrei möglich. Dort ist auch sehr schön erkennbar, in welch geringem Rahmen sich die Netzfrequenz bewegt, bewegen darf.

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